Herbstkrokus

Jeder hat wohl solch eine Stelle im Garten, wo nichts wachsen will, weil es dort zu trocken ist: der durchwurzelte Boden am Fuß einer Birke oder Zierkirsche, ein Streifen staubtrockener Erde unter einem großen Dachüberstand oder der knochentrockene Abschnitt entlang einer Koniferenhecke. Nun ist kahle Erde – genau wie ein kahler Kopf – nichts, wofür man sich schämen müßte, aber bei den meisten Gärtnern besteht doch der Wunsch, jeden Quadratzentimeter des Gartens bewachsen zu sehen.

Und dies ist auch durchaus möglich, zumindest vorübergehend. Nehmen wir als Beispiel den Fuß einer Birke: dort ist der Boden derart durchwurzelt, daß man leicht seine Pflanzschaufel verbiegt, beim Versuch, sie in die Erde zu schieben, doch gerade dieser wenig erfolgversprechende Standort ist geeignet für Pflanzen mit einem ganz anderen Vegetationszyklus.

Normale Pflanzen kommen im Frühling aus der Erde und verschwinden im Herbst nach dem ersten Nachtfrost wieder. Pflanzen mit einem gegenläufigen Zyklus erscheinen im Herbst und verschwinden am Ende der Frühjahrs. Häufig sind dies Pflanzen aus den Ländern rund ums Mittelmeer, wo die Regenzeit in den Winter fällt und es im Sommer knochentrocken ist. Vor allem mediterrane Zwiebel- und Knollengewächse sind an dieses Klima ausgezeichnet angepaßt. Ihre Blüten öffnen sich nach den ersten herbstlichen Regenfällen, meistens bevor die Blätter erscheinen, und sobald der kühle, nasse Winter vorüber ist, ziehen sie ein, um während der großen Sommerhitze unterirdisch geschützt zu übersommern. Was das betrifft, verhalten sie sich ein Stück vernünftiger als wir.

Knollengewächse, die dieses mediterrane Verhalten zeigen, sind zum Beispiel Alpenveilchen, Aronstab, Herbstzeitlose und Herbstkrokusse. Doch auch herbstblühende Schneeglöckchen und Narzissen kommen vor. Die Herbstzeitlose (Colchicum) und der herbstblühende Krokus (Crocus) werden häufig miteinander verwechselt, doch wer bis sechs zählen kann, wird diese zwei leicht auseinanderhalten: Herbstzeitlose haben sechs Staubgefäße und Herbstkrokusse drei. Auch ohne botanisches Auge kann man die Unterschiede erkennen; Herbstzeitlose fangen meistens Ende August zu blühen an und Herbstkrokusse erst im Oktober. Zudem sind die Blüten der Herbstzeitlosen fast immer lilarosa und die des Herbstkrokus meistens blau mit einem Hauch von Violett. Ein nicht ganz unwichtiger kulinarischer Unterschied ist außerdem, daß die Knollen von Krokus eßbar, die der Herbstzeitlosen hingegen tödlich giftig sind. Und wo wir schon mal beim Thema Genuß sind: Die Krokusknollen kann man zu Mehl vermahlen und damit leckere kleine Pfannkuchen backen, wie man dies auch im Iran und in der Türkei tut.

Ein Freund von mir, der Botaniker ist und vor dreißig Jahren – als dies noch erlaubt war – zahlreiche Zwiebelgewächse in der freien Natur im Mittleren Osten gesammelt hat, erzählt stets, daß er mehr seltene Krokusarten auf den lokalen Märkten entdeckt habe als in den Bergen. Ein Bestandteil des Krokus ist der Safran, den jeder aus der Küche kennt – die getrockneten, lackroten Staubfäden des violettblühenden Safrankrokus werden unter anderem verwendet, um Reis gelb zu färben.

 

Safran ist unglaublich teuer, doch eigenartigerweise erweist sich eine Tüte mit Knollen des herbstblühenden Safrankrokus, Crocus sativus, als ein ganzes Stück billiger als ein Tütchen mit lediglich ein paar Staubfäden derselben Pflanze. Wer schlau ist, pflanze darum Safrankrokusse, um den eigenen Bedarf an Safran zu decken. Diese Krokusart blüht allerdings spät – erst im November – und dann ist das Wetter häufig nicht krokusfreundlich. Und bei Regen, sogar schon bei dichter Bewölkung, öffnen sich die Krokusblüten nicht. Was dies betrifft, ist es vernünftig, einen Krokus zu wählen, der etwas früher im Herbst blüht.

Oktober kann ein prachtvoll sonniger Monat sein, und Oktober ist die Blütezeit von Crocus speciosus, dem bekanntesten und am leichtesten erhältlichen Herbstkrokus, mit ungefähr fünfzehn Sorten im Handel. C. speciosus hat violettblaue Blüten – mehr blau als violett –, die sich an sonnigen Tagen weit öffnen, und dann ihre auffällig knallorangen, fächerförmig verzweigten Stempel häufig so aus der Blüte heraushängen lassen wie die Zunge aus dem Maul eines hechelnden Hundes. Diese Stempel lassen sich übrigens prima als Ersatz-Safran verwenden.

Weil C. speciosus relativ viel gezüchtet wird, wurden neben der wilden Form verschiedene Varietäten ausgelesen, wie ‘Artabir’, ‘Oxonian’, ‘Aitchinsonii’ und ‘Conqueror’. Der Unterschied besteht vor allem im Preis der Knollen, wobei ‘Oxonian’ sehr wohl aus dem Rahmen fällt mit seiner riesigen violettblauen Blüte und der violettüberlaufenen Kronröhre (Krokusse haben technisch betrachtet keinen Stengel, sondern eine Kronröhre oder einen Tubus). ‘Oxonian’ blüht auch am frühesten – meistens ab dem 1. Oktober – während ‘Aitchinsonii’, mit seinen graublauen Blüten, erst vierzehn Tage später zu blühen beginnt, was dann wiederum den Vorteil hat, daß dieser Spätblüher in einem schönen Herbst bis Ende November durchblühen kann.

C. speciosus ist beliebt bei Insekten und manchmal stockt einem der Atem, wenn man einen dicken Admiral oben auf solch einer fragilen Blüte landen sieht. Doch meistens verläuft die Landung, ohne daß die zerbrechliche Kronröhre knackt. Was dies betrifft, richten Nacktschnecken mehr Unheil an. Sie nagen ein Stückchen aus der Unterseite der Kronröhre, wodurch die Blüte dann kentert.

 

Ein Insekt, das gerne Gebrauch macht von der Krokusblüte, ist die Hummel. Hummelköniginnen lassen sich abends in den Blüten einschließen und verbringen dort dann eine trockene und sichere Nacht. Bevor die Blüten sich am nächsten Tag wieder öffnen können, müssen sie allerdings erst auf Temperatur kommen, und an kühlen Morgen kann dies eben dauern; zuweilen öffnen sich die Blüten dann erst gegen Ende des Morgens. Es ist schon komisch, die ungeduldigen eingesperrten Hummeln in der noch geschlossenen Blüte brummen zu hören, bis es ihnen gelingt, einen Ausbruch aus ihrem Gefängnis zu bewerkstelligen.

Nicht nur trockene Stellen am Fuße eines Baumes sind geeignet, um Herbstkrokusse zu pflanzen. Für den Safrankrokus sind solche Plätze ideal, er benötigt viel sommerliche Hitze, um blühen zu können. Man setze seine Knollen darum an den Fuß eines Baumes oder einer Hecke in warme, unbewachsene Erde. Dagegen wächst und blüht C. speciosus gut in der kühleren Blumenwiese, in ungemähtem Gras. Krokusse, die im Gras wachsen, werden durch dieses aufrecht gehalten, so daß sie nach einem Regenschauer viel weniger schnell umfallen, als wenn sie auf kahler Erde stehen. Doch für eine echte Blumenwiese ist in den meisten Gärten kein Platz. Und glücklicherweise in diesem Fall auch nicht notwendig: wer es nicht als Problem sieht, sein Gras im Winter etwas höher wachsen zu lassen als gewöhnlich, kann C. speciosus einfach in den Rasen pflanzen. Man mäht dann in der letzten August-Woche zum letzten Mal und genießt danach bis tief in den November hinein die Herbstkrokusse. Im Frühling stellt man den Rasenmäher bis Ende Mai einfach etwas höher ein, damit man das Krokuslaub nicht abmäht. Der glückliche Zufall bringt es mit sich, daß Krokusse ihre Samenkapseln auf oder gerade eben unter der Erdoberfläche entwickeln, was das Risiko minimiert, diese zu beschädigen. So gibt man dem Krokus auch noch die Gelegenheit, sich auszusäen. Dies alles klingt fast zu schön um wahr zu sein, und es gibt dann leider auch einen kleinen Wermutstropfen bei dieser Geschichte: wir Gärtner sind sicher nicht die Einzigen, die verrückt sind nach C. speciosus; Waldmäuse und Wühlmäuse sind es nämlich auch.

 

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von Romke van de Kaa

a.d. Niederländischen von Birgit Verstoep